Boston Marathon 2016, das war ganz, ganz großes Kino, ein irres und sehr emotionales Erlebnis.Strecke

 60:60:120 – erster Marathon in der AK60, mein 60.Marathon beim 120.Boston Marathon

Wir sind schon wieder eine Woche zuhause und doch sind die Erlebnisse immer noch so präsent als wäre ich noch mitten auf der Strecke. Keine Ahnung wie ich diese 6Tage in Boston in Worte fassen kann. Ich versuch es und fang einfach mal am Anfang an:

Irgendwann Anfang 2015 wurde mir bei der Statistikpflege meiner bisherigen Läufe klar, dass ich 2016 die AK wechseln und, wenn nichts dazwischen kommt, auch meinen 60.Marathon laufen werde. Mit der Laufszene hatten wir schon oft darüber philosophiert beim Boston Marathon an den Start zu gehen. Was lag also näher als gemeinsam mit interair 2016 nach Boston zu fliegen.

Nachdem wir am 14.April2016 am späten Nachmittag in Boston ankamen, haben wir an jedem Tag bis zum Start jeweils bis zu 18km zu Fuß zurückgelegt. Was jetzt nicht wirklich sinnvoll ist, wenn ein Marathon auf dem Plan steht. Aber es ist Boston und die Stadt hat neben der Marathongeschichte auch eine, wenn auch erst 400jährige, Stadtgeschichte die auch Auswirkungen auf unser heutige Lebensart hat und die wir uns an Originalschauplätzen einfach angucken mussten.

Die Stadt ist kaum größer als Dresden (600000 Einwohner), sehr kompakt und damit gut zu Fuß erlebbar. Wir IEEEwaren im MIT, welches unter anderem zur Gründungsorganisation und Sitz des World Wide Web Consortium (W3C) gehört. Hier wurde von 1944-1952 der Digitalrechner Whirlwind entwickelt und gebaut – die Geburtsstunde von all den PC’s und Handy‘s die aus unserem Leben nicht mehr wegzudenken sind. Für mich war das auch ein Blick zurück auf meine Zeit bei DEC, einer Firma die im IT–Umfeld noch heute Kultstatus hat. Harvard, die älteste Uni der USA, die viele renommierte Wissenschaftler, Unternehmer und US-Präsidenten hervorgebracht hat. Wenn man über diesen Campus läuft spührt man regelrecht die Erfurcht vor den wissenschaftlichen Leistungen die hier volbracht wurden.

In Boston wurde am 16. Dezember 1773 die Boston Tea Party gegründet. Damals lösten Proteste gegen eine Erhöhung der Teesteuer durch das britische Parlament den Unabhängigkeitskrieg aus. Eine rote Pflasterspur, der ungefähr vier Kilometer lange Freedom Trail, Amerikas „Pfad der Freiheit“, führt zu 16 historischen Stätten in der Stadt, darunter der Boston Common, das Massachusetts State House sowie das Old State House. Heute steht die Tea Party eher für konservative Ideen und Lebensweisen.WP_20160417_14_29_47_Pro

Die Marathonmesse und Pasta Party lief für uns, weil wir jeweils vor dem großen Ansturm da waren, sehr entspannt ab. Die Tage waren kurzweilig und schneller als gedacht war der Tag der Tage da. Das der Boston Marathon immer am dritten Montag im April stattfindet, geht auf die ersten Kämpfe im Unabhängigkeitskrieg zurück.

Ich war um 4Uhr putz munter und konnte nicht mehr schlafen, hatte aber 4Stunden Zeit bis zur Abfahrt der Busse zum Start. Nach leichtem Frühstück und Kaffee saß ich im Bus. Der Transport der 32000 Läufer zum Start nach Hopkinton ist eine logistische Meisterleistung. Die Starts erfolgen in Bustransfer4Startwellen (10Uhr bis 11:15Uhr) in denen es nochmal jeweils 8Startblöcke gibt. Damit gibt es im Startbereich auch (fast) kein Gedränge. Wenn 800 amerikanische Schulbusse aufgereiht zu einer Perlenschnur über den Highway fahren, war das ein erster Vorgeschmack auf die Emotionen die uns auf der gesamten Marathonstrecke erwarten werden.

Die Sicherheitsbedingungen wurden nach dem Anschlag von 2013 nochmal  verschärft – es durfte nur kleine Verpflegung, ausschließlich in durchsichtigen Plastikbeuteln mit zum Start genommen werden. Alles was wir mit zum Start nahmen blieb auch dort und wurde nicht zurück transportiert. Die wärmenden Sachen, die wir vor dem Start anhatten wurden Wohltätigkeitsvereinen übergeben. Die Kontrollen liefen freundlich und ohne große Stau’s ab, über dem Athletendorf in Hopkinton kreisten Hubschrauber, auf den Häusern (auch entlang der Laufstrecke) standen Scharfschützen. Die Polizei war überall präsent, vermittelte aber ein Gefühl der Sicherheit und war auf ihre Art sehr locker drauf,  „… wir sind nur da, damit ihr lachend laufen könnt“ war die Ansage.

Die angebotene Verpflegung nutzte ich nicht, ich hatte mein von Caroline Rauscher auf meinen Magen abgestimtes Gel dabei und griff mir nur eine Wasserflasche. Im Startbereich kam ich mit Läufern aus Neuseeland und der Schweiz in’s Gespräch, wir diskutierten das Streckenprofil und natürlich das Wetter. Es war mit 20°C schon sehr warm und die Temperaturen würden über den Tag weiter steigen.

Mit meiner Qualizeit hatte ich mich für den 2.Startblock in der 3.Welle qualifiziert und pünktlich 10:50Uhr fiel der Startschuss.

Die Stimmung ist bereits auf den ersten Metern riesig. Von Kilometer 1 bis ins Ziel wird man von hunderttausenden1 Menschen, die oft in Dreierreihen hintereinander am Streckenrand stehen,  begeistert angefeuert. Da übersieht man dann schon mal nach ca. 2Kilometern den Hinweis auf die historische Startlinie in Ashland. Die ersten Marathonwettbewerbe Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts wurden noch über 25Meilen ausgetragen. Dies änderte sich erst mit den olympischen Spielen 1908 in London, die zur heute noch geltenden Länge von 26,2Meilen oder 42,195km führte.

Die Marathonstrecke geht vom Start bis in’s Ziel stetig bergab, was unter anderem dazu führt, dass Streckenrekorde nicht anerkannt werden. Allerdings ist das Profil eine echte Herausforderung – richtige Berge sind zwar nicht zu laufen und knapp 300Höhenmeter auch kein entscheidendes Hindernis für gute Zeiten, aber genau darin liegt  die Gefahr die Strecke zu unterschätzen. Es geht zwar meist bergab, was am Anfang zu einem viel zu hohen Tempo verleitet. Doch das ständige auf und ab hat es in sich und wird sich spätestens auf der zweiten Hälfte bemerkbar machen.

Ab Meile2 erwartet uns jede Meile und damit 25mal(!) jeweils beiderseits der Straße ein langgezogener Versorgungpunkt, erst auf der rechten, dann auf der linken Straßenseite. Bestückt waren die jeweils mit Gatorade (das muss man mögen) und Wasser. Es gibt nie Gedränge und man kann sich bestens darauf einstellen. Ich hab mein Gel dabei und greife nur zum Wasser.

Die Straßenränder sind voll, in mehreren Reihen hintereinander drängen sich tausende begeisterte Menschen an der Strecke. Es werden Plakate und Fahnen geschwenkt und mit ununterbrochenem Anfeuern ein unglaublicher Geräuschpegel erzeugt. Selbst die Bewohner eines Altenheims, die in ihren Rollis in erster Reihe entlang der Straße aufgereiht stehen, feuern uns an. An den Straßenrändern, in den Grundstücken finden Barbecue-Parties statt, der Duft  gegrillten Fleisches hängt in der Luft und die Menschen feiern sich und uns.

Dann, bei Km20, höre ich ein leises Sirren in der Ferne, das immer mehr zu einer Geräuschkulisse, ähnlich in einem wellesley collegeFußballstadion, wenn 70000 Fans bei einem Torschuss jubeln, wird – nur eine Oktave höher!!! – dann geht es ganz schnell und auf einmal sind sie da, Hunderte 14 bis 18-jährigen Mädels vom Wellesley College, wild gestikulierend und sich hemmungslos der kollektiven Massenhysterie hingebend. Gesichter sind kaum auszumachen, ein einziger schriller, durchdringender Dauerton erfüllt die Luft. Ich laufe am rechten Straßenrand, da wo der Jubel am größten ist und hab keine Chance die entgegengestreckten Hände nicht abzuklatschen. Küsschen werden verteilt und der Wunsch nach Kindern von den Läufern geäußert 🙂  Jeder, wirklich jeder Läufer nimmt ein Lächeln und ein leicht taubes Gefühl im Ohr von diesem besonderen Highlight der Strecke mit.

War ich auf der ersten Hälfte mit einer Pace um die 5Minuten unterwegs, entscheide ich mich jetzt Tempo rauszunehmen und wirklich jeden, aber auch JEDEN Meter zu genießen. Auf Boston, der Mutter aller Marathons, hab ich mich seit über einem Jahr gefreut wie ein kleiner Junge. Das sollte nicht so schnell vorbei sein 🙂skyline571e2845e3204.jpg

Es geht weiter bergab, runter in die Senke des Charles River, der auch durch Boston fließt. Jetzt kommen die Newton Hills, vier Anstiege auf den nächsten fünf Meilen, von denen jeder zwar nur etwa 40 Höhenmeter hat, aber beständig bergauf führt. Unser Reiseveranstalter Interair wartet bei Kilometer 27 mit einem Sonderservice für uns in Form von Bananen und Fotoshooting.

Bei  km33 „stehe“ ich vor dem letzten, größten und wohl auch berühmtesten Marathon-Hügel der Welt – dem Heartbreak Hill. Der ist weder besonders attraktiv, noch auffallend und manch ein Läufer hat sich hinterher gefragt „wo war der denn?“. Es sind aber die ca. 53Höhenmeter, die in dieser Phase das Laufen zu einer echten Herausforderung machen. Oben angekommen, geht’s gleich wieder bergab, was jetzt auch kein Spaß mehr ist. Aber am Horizont sehe ich die beiden markanten Wolkenkratzer des Prudential Building und des John Hancock Towers in der Back Bay von Boston. Genau da will ich hin, da ist Zieleinlauf.

Der Stadtrand Bostons ist von wenig attraktiven Gewerbegebieten geprägt, aber auch hier sind die Straßen voll. Gefühlt Tausende stehen da, jubeln und schreien uns zum Ziel – die Stimmung ist irre.

13902587_10153705694786657_7281713878065381940_nÜber die Beacon Street geht es immer weiter hinein in die Stadt. Bei Kilometer 38 kommt ein riesiges „CITGO“-Werbeschild in’s Blickfeld und jeder weiß, ab dort sind es nur noch zwei Meilen. Jetzt kommen die ersten markanten Richtungswechsel der Strecke, es geht nach rechts, dann nach links. Wir laufen durch einen kleinen Tunnel, unter der Massachusetts Avenue hindurch. Kurz hinter dem Tunnel geht’s wieder nach rechts in die Hereford Street und den allerletzten Hügel hinauf, vorbei an der Boston Fire Station, danach nach links …

…  und dann liegt sie vor uns, die 30m breite und 600m lange Zielgerade auf der Bolyston Street, mit dem blauen imposanten Zielbogen ganz am Ende.

Der Lärmpegel wird nochmal stärker, es empfängt uns ein Zuschauermeer und diese letzten 600m muss ich einfach gehen und bewußt wahrnehmen. Die dichten Menschentrauben lassen zwischen den Häusern und der Laufstrecke keinen Platz mehr. Vorbei an einer Stafette 467970_226283137_Mediumwehender Fahnen gehe ich über die roten Matten der Zeitmessgeräte und die breite blaue Bodenmarkierung mit dem Wort…

     „FINISH“  – ich hab es geschafft und bin glücklich 🙂

Was bleibt ist ein hochemotionaler Lauf beim weltweit ältesten Marathon, der mir für die nächsten Wochen ein breites Grinsen in’s Gesicht zaubern und unvergesslich bleiben wird

Bilder

_______________________
Über diesen Lauf und meine anderen Wettkämpfe vom Ultralauf bis zum Ironman erzähle ich gern in einem Vortrag. Dabei gebe ich auf sympathische und kompetente Weise einen Einblick in den Alltag eines ambitionierten Sportlers, Trainers und Organisators von Sportveranstaltungen. Spanne einen Bogen in das tägliche Arbeitsleben und gehe auf die Themen Zeitmanagement, Selbstorganisation, Motivation und “work life balance” ein. Für einen Termin schickt mir bitte einfach eine Anfrage über das Kontaktformular